Angst droht in Panik umzuschlagen

Ein möglichst sensibles Vorgehen der Notenbanken wird kommende Woche über eine Beruhigung der Finanzmärkte entscheiden. Geldhändler erwarten, dass die Zentralbanken den Kreditinstituten wie in der vergangenen Woche weitere Liquidität zur Verfügung stellen müssen.
Die Institute seien weiterhin sehr nervös und nur noch bereit, Geschäftspartnern Geld über Nacht zu leihen, zu denen sie lange und enge Beziehungen pflegen, heißt es am Markt.

Wie stark die Investoren angesichts der verschärften Kreditkrise auf die Zentralbanken hoffen, zeigt sich daran, dass sie inzwischen sogar auf eine vorgezogene Leitzinssenkung der US-Notenbank Fed ohne reguläre Sitzung spekulieren. Das lässt sich aus Zinskontrakten ablesen.

Die jüngsten US-Konjunkturdaten würden diesen Schritt jedoch nicht rechtfertigen. Die Fed hatte am Dienstag noch betont, ihr Hauptaugenmerk gelte der Inflation. „Ich glaube nicht, dass eine Not-Zinssenkung unmittelbar bevorsteht“, sagt James Paulsen, Aktienstratege bei Wells Capital Management. „Wenn sich wichtige Konjunkturdaten dramatisch verschlechtern sollten, könnte die Fed aber natürlich eingreifen.“ Mit Spannung erwartet werden deshalb Daten zum US-Einzelhandel und aus dem Bausektor, die in dieser Woche vorgelegt werden. Auch Verbraucher- und Produzentenpreise stehen an. Sollten diese auf eine höhere Inflation hinweisen, könnte das die Hoffnung auf eine schnelle Zinssenkung zunichte machen.

Trotz schlechter Vorgaben von der Wall Street waren Europas Börsen zunächst fest in die Woche gestartet – getragen von einer kurzfristigen Erholung bei den Bankwerten. Die Stimmung kippte allerdings am Donnerstag, als die Europäische Zentralbank (EZB) und die Fed Milliarden in den Geldkreislauf schleusen mussten, um die Tagesgeldzinsen zu stabilisieren. „Wenn sich die Zentralbanken einmischen müssen, ist das nie ein gutes Zeichen“, sagt Don Rissmiller, Analyst bei Strategas Research Partners.

Die EZB stellte am Donnerstag und Freitag insgesamt fast 160 Mrd. Euro zur Verfügung, die Fed 43 Mrd. $. Der Dax beendete die Woche mit einem Minus von 1,2 % bei 7343,26 Zählern. Der europäische Stoxx 50 gab auf Wochensicht 2,4 % nach und fiel unter den Stand vom Jahresanfang. Der japanische Topix verlor 2,3 %.

„Am Aktienmarkt könnten uns relative rauhe Tage bevorstehen“, sagt Matthias Jörss, Leiter der Aktienstrategie bei Sal. Oppenheim. „Vielleicht haben wir den Boden noch nicht gesehen. Auf Sicht von sechs Monaten sind wir aber optimistisch.“ Ulrike Pfuhl, Aktienexpertin bei JP Morgan Asset Management, sieht an den Finanzmärkten eine steigende Nervosität, aber noch keine Panik. „In den kommenden Tagen und Wochen wird sich zeigen, ob die Krise an den Kreditmärkten Auswirkungen auf das makroökonomische Umfeld hat. Wir rechnen derzeit nicht mit einer Rezession in den USA. Das kann sich aber ändern, wenn sich die volkswirtschaftlichen Daten verschlechtern sollten.“ Cheuk Wan Fan, Aktienstratege bei Credit Suisse, geht von einer längeren Korrektur aus: „Die Liquiditätsklemme wird dazu führen, dass Hedge-Fonds, Versicherungen und andere Investoren ihren Verschuldungsgrad zurückfahren. Das wird den Börsen Liquidität entziehen.“

Kursverluste auch bei Industriemetallen und Öl
Geld fließt auch aus anderen Anlageklassen massiv ab. Industriemetalle wie Blei, Aluminium und Kupfer verbuchten vergangene Woche Kursverluste von etwa 10 %. „Das wird so lange anhalten, wie die Verunsicherung der Märkte dauert“, sagte ein Händler an der Londoner Metallbörse LME. Auch Rohöl büßte binnen einer Woche rund 10 % ein. Die Goldnotierungen konnten sich nach einem starken Preisrutsch an den Vortagen zwar am Freitag etwas erholen. Das Edelmetall ist allerdings wegen seiner hohen Liquidität immer wieder für Verkäufe von Investoren anfällig, die in anderen Märkten massive Verluste erlitten haben und diese ausgleichen müssen. „Je länger die Sorgen über die Kreditmärkte die Finanzmärkte erschüttern, desto größer sind die Auswirkungen auf das Gold“, schreiben Analysten der britischen Großbank HSBC.

Dauert die hohe Risikoscheu weiter an, dürfte der japanische Yen wie in der vergangenen Woche weiter aufwerten. Hintergrund ist die Auflösung so genannter Carry Trades, bei denen sich Investoren in Niedrigzinswährungen wie den Yen verschulden, um die Mittel in höher verzinslichen Vermögenswerten anzulegen. Auf Sicht eines Monats legte die japanische Devise gegenüber Hochzinswährungen wie dem Neuseeland-Dollar, dem brasilianischen Real oder den südafrikanischen Rand um 5 bis 8 % zu. Dem Euro trauen Analysten vorerst keine großen Sprünge zu. „Von den Problemen am US-Hypothekenmarkt sind nun auch deutsche und europäische Institute betroffen, das färbt auf den Euro ab“, sagt Eugen Keller, Renten- und Devisenstratege vom Bankhaus Metzler.

Keine Renten-Rally in Sicht
Die Unruhe dürfte auch den Rentenmarkt weiter unterstützen. „Mit einer massiven Rally rechnen wir aber nicht“, sagt Orlando Green, Zinsanalyst von Calyon. Schon in der vergangenen Woche hatten im Grunde nur zweijährige Staatsanleihen von der Unsicherheit profitiert, zehnjährige Staatsanleihen rentierten in Europa auf dem Niveau der Vorwoche. In den USA stiegen deren Renditen sogar. „Die Investoren wollen im Moment Liquidität in Form von Cash, selbst längerfristige Staatsanleihen sind ihnen nicht liquide genug“, so Green.

Glaube an EZB-Leitzinserhöhung schwindet
Die Erwartungen über den künftigen geldpolitischen Kurs der Notenbanken haben sich inzwischen dramatisch verändert. Marktteilnehmer rechneten am Freitag nur noch mit einer Wahrscheinlichkeit von weniger als 50 % damit, dass die EZB ihren Leitzins Anfang September auf 4,25 % anhebt. Noch vor kurzem galt dieser Schritt als nahezu sicher. „Solange die Banken den Kredithahn nicht regelrecht zudrehen, sondern lediglich die Konditionen anpassen, ist dies im Interesse der EZB. Sie wird daher vorerst an ihrem geldpolitischen Straffungskurs festhalten“, sagt indes Marco Kramer, Europa-Volkswirt der Hypovereinsbank.

Noch deutlicher änderten sich die Erwartungen mit Blick auf die Fed. Einer Leitzinssenkung bei der nächsten Sitzung wird inzwischen eine Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent zugemessen. Mit einer Wahrscheinlichkeit von fast einem Drittel wird sogar von einer vorgezogenen Senkung ohne reguläre Sitzung ausgegangen. Daran glaubt Dean Maki, US-Chefvolkswirt bei Barclays Capital, allerdings nicht: „Die Fed wird genug Liquidität ins System geben, um den tatsächlichen Zins in Höhe ihres Ziels zu halten, aber das Ziel nicht ändern.“

(Quelle: Financial Times Deutschland/von Bernd Mikosch, Mark Schrörs, Doris Grass, Yasmin Osman, Frankfurt, und Jennifer Lachman, New York)

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