Reale Inflation

Will das Glück nach seinem Sinn
Dir was Gutes schenken,
Sage Dank und nimm es hin
Ohne viel Bedenken

Jede Gabe sei begrüßt,
Doch vor allen Dingen;
Das worum Du dich bemühst,
Möge Dir gelingen!
(Wilhelm Busch)

Sobald ein neuer Spekulationsexzess an den Märkten zu platzen droht, ruft die Finanzgilde nach raschen Zinssenkungen und reichlichen Geldspritzen, damit das System nicht kollabiert. Während es früher oft Jahrzehnte dauerte

bis sich irgendwo eine neue Blase gebildet hat, ist der Takt in Zeiten der Globalisierung schneller geworden. Kein Wunder, lebt doch vor allem in den USA eine riesige Finanzindustrie vom möglichst langen Hinauszögern der Ungleichgewichte. Blickt man auf den breiten Aktienmarkt, könnte man glauben, dass alles in Ordnung ist. Doch hinter den Kulissen brodelt es weiter. Wie berichtet, haben FED, EZB, Bank of England, Bank of Canada, sowie die Schweizerische Nationalbank die Geldschleusen weit geöffnet, um den Markt mit Geld zu fluten.

Hintergrund: Wie wir von einem Unternehmensberater im Bankensektor einer der weltweit führenden Beratungshäuser erfahren, scheint die Situation im Bankensektor weiter festgefahren. Der Interbankenhandel funktioniert einfach nicht mehr. Kaum eine Bank traut der anderen. Deshalb stieg der Zins für 3-Monatsgeld (trotz Zinssenkungen der Notenbanken) immer weiter. Zwar konnten die zwischenzeitlichen Zinssenkungen etwas die Luft raus nehmen, aber im Endeffekt waren diese bislang wie ein Tropfen Wasser in die Feuersbrunst. Der Interbankenzins stand letzte Woche schnell wieder bei über 4,8 % und damit so hoch wie seit Jahren nicht mehr.Dass die reale Inflation seit Jahren weit höher liegt, als uns offiziell glauben gemacht wird, ist angesichts der Tatsache, dass Nahrungsmittelpreise, Energiepreise und Ölpreise in die Kalkulation „vorsichtshalber“ NICHT einbezogen werden (Wozu auch? Essen, Trinken und Auto fahren tun ja die wenigsten Menschen in der westlichen Hemisphäre!?) sowieso jedem klar.

Jedenfalls scheint die Hoffnung der Markteilnehmer auf weitere Zinssenkungen zu sinken. Die vergangen Zinssenkungen konnten den Markt immer wieder kurz beleben und auf hohem Niveau halten (damit das zuvor agierende „Plunge Protection Team“ nach den Zinssenkungen wieder „abladen“ konnte?). Weitere Zinssenkungen scheinen bei dieser Inflationsrate (die man nun nicht mehr künstlich drücken kann und welche sogar in den offiziellen Raten dramatische Anstiege verzeichnet) jedenfalls unwahrscheinlicher zu werden. Sollte die FED trotzdem weiter die Zinsen senken, dürfte auch dem letzten Optimisten klar sein, wie schlimm es um die US-Wirtschaft wirklich steht. Ein weiterer Abschwung des US Dollar scheint damit vorprogrammiert, auch wenn die Top-Insider von Goldman Sachs im 2008er Ausblick sich als erste Top-Adresse sehr zuversichtlich für den US-Dollar zeigen.Einen hervorragenden Kommentar zur aktuellen Lage fanden wir gestern im „Handelsblatt“-Leitartikel von Frank Wiebe, absolut lesenswert. Titel des Leitartikels: Die andere Umverteilung. Dies trifft den Nagel auf den Kopf.

Die andere Umverteilung
Stellen Sie sich vor, nächste Woche an Heiligabend singen Ihre Kinder nach der Bescherung im Chor: „Wir wollen noch mehr, wir wollen noch einmal so viele Geschenke.“ So verhält sich die Finanzbranche. Egal, wie viel Geld und Garantien ihr Notenbanken und Regierungen zur Verfügung stellen – nie ist es genug. Ohne permanente staatliche Hilfe ist die Bankenwelt, das Symbol des Kapitalismus, weltweit im Moment nicht überlebensfähig, das ist die Bilanz der Branche für das ablaufende Jahr.

Ein wichtiger Nebeneffekt wird dabei leicht übersehen: Letztlich betreiben die Staaten so eine besondere Art von Umverteilung. Nicht von oben nach unten, sondern eher in die andere Richtung. Die smarten Mitspieler in der Finanzwelt können Chancen mit staatlich abgefederten Risiken bezahlen. Der Staat leistet so indirekt eine gewaltige Subvention. Er begünstigt die Branche und ihre Manager, die mit gezinkten Karten satte Stiche im Risikospiel einheimsen können. Er begünstigt Kreditnehmer, weil deren Zinsen künstlich gedrückt werden. Er begünstigt Anleger, die erfahren und vermögend genug sind, an den – staatlich genährten – Blasen der Finanzmärkte viel Geld zu verdienen. Die Dummen sind Verbraucher und Kleinsparer, die das Spiel irgendwann mit sinkendem Geldwert bezahlen müssen, wenn den Notenbanken ihre Geldgeschenke außer Kontrolle geraten. Oder Bewohner von Regionen, wo die Grundstückspreise unbezahlbar werden, weil die Neureichen aus der Finanzwelt sie hochtreiben.

Dumm dran sind auch viele andere Branchen, denen staatliche Unterstützung entgeht, obwohl sie tragfähigere Innovationen hervorbringen als die Banken. Sollte der Staat nicht eher neue Technologien und mittelständische Unternehmen fördern als Finanzkonzerne? Diese schleichende Umverteilung der anderen Art gibt es schon seit Jahren. Sie hat ganze Städte wie New York und London reich gemacht. Sie erhält in Deutschland eine letztlich ineffiziente Struktur der Finanzbranche mit zahlreichen überflüssigen Landesbanken. Aber noch nie war die unsichtbare Hand des Staates in den Finanzmärkten so deutlich spürbar wie heute. Und noch nie ist ein Punkt so klar geworden: Letztlich traut sich keine Regierung und keine Notenbank, ihre Finanzbranche aufs Spiel zu setzen –egal, wie viel Kritik es dafür gibt und welche Strategien vorher für Krisenfälle ausgetüftelt wurden. So ist die Politik letztlich zur Geisel der Finanzwelt geworden. All dies soll nicht heißen, dass die Politik im ablaufenden Jahr gravierende Fehler gemacht hätte. Sie handelt zurzeit aus einer Zwangslage heraus.

Die Fehler haben sie und andere vorher gemacht: Die US-Notenbank war schon im Vorfeld der Krise zu großzügig und hat damit die Spekulation angeheizt; mittlerweile halten ihr sogar Amerikaner die Europäische Notenbank als Vorbild entgegen. Die deutsche Politik hat zu lange Kleinstaaterei bei den Landesbanken gepflegt und Kompetenzgerangel bei der Aufsicht geduldet – beides muss ein Ende haben. Die Finanzkonzerne und ihre Manager sollten sich warm anziehen. Wer sich zu sehr auf den Staat verlässt, bekommt oft mehr davon, als er haben möchte – in Form neuer Vorschriften und Steuern: Die neue Art der Umverteilung weckt schnell den Ruf nach der altbekannten Version. (Quelle: Handelsblatt, Frank Wiebe, Leitartikel vom 18.12.2007)

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