Rundum-Überwachung

Wie die Rundum-Überwachung funktioniert

Nummernschilder werden gefilmt, Telefon- und E-Mail-Daten gespeichert. Deutschland sammelt immer mehr Informationen über seine Bürger. FTD-Online zeigt, wer überwacht wird – und was noch kommen könnte.

FTD-Online zeigt, wer überwacht wird – und was noch kommen könnte. Gut recherchiert und gut geschrieben, deshalb lesen wir es. Nummernschilder werden gefilmt, Telefon- und E-Mail-Daten gespeichert. Deutschland sammelt immer mehr Informationen über seine Bürger.


Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA ist nicht nur die Angst vor Terror in der westlichen Welt gewachsen, sondern auch das Ausmaß, in dem Staaten Informationen über ihre Bürger sammeln und auswerten. Deutschland scannt fleißig mit. Unsere Übersicht erklärt, mit welchen Methoden geschnüffelt wird und wen es am meisten trifft.

Anrufer und Internet-Surfer
Der Begriff klingt harmlos, nach horten und hamstern: „Vorratsdatenspeicherung“. Seit dem 1. Januar 2008 werden in Deutschland die Daten aller Menschen gehamstert, die miteinander über Telefon, Handy oder E-Mail kommunizieren. Der Bundestag und später Bundespräsident Horst Köhler segneten ab, wogegen Verfassungsrechtler und Datenschützer erhebliche Bedenken haben: gegen das Sammeln persönlicher Informationen von Menschen – ohne, dass es dazu einen konkreten Anlass gibt oder diese Bürger verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben. Befürworter argumentieren, mit Hilfe der Daten ließen sich Straftäter leichter fassen.

Neue Sammelwut seit Januar
Das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ verpflichtet Telekommunikationsanbieter und Internetprovider, sämtliche Verbindungsdaten ihrer Kunden sechs Monate zu speichern. Die Unternehmen müssen zudem Behörden bei der Verfolgung von Straftaten unterstützen – sprich: bei Bedarf alles über ihre Kunden herausgeben, was sie gespeichert haben. Unscharf geregelt ist bisher, wie schwer ein solcher Verdacht sein muss, damit die Strafverfolgungsbehörden Zugriff bekommen.

Zwar werden Inhalte der Gespräche und E-Mails nicht gespeichert – aus den Verbindungsdaten lassen sich jedoch umfassende Persönlichkeitsprofile erstellen. Behörden können so erfahren, wer mit wem und von wo aus kommuniziert. Denn gespeichert werden Rufnummern und Zeit der Telefonate sowie aus welcher Funkzelle angerufen oder eine SMS verschickt wird. Wer im Web surft, hinterlässt unter anderem, welche Seiten er aufruft und mit wem er E-Mails austauscht.

Gegen das Gesetz wurde Verfassungsbeschwerde eingereicht, da es unverhältnismäßig in die Privatsphäre eingreife, wie die Gegner argumentieren. Kritiker bemängeln zudem die hohen Kosten, die das Gesetz verursacht. Es seien enorme Speicherkapazitäten notwendig – und die würden die Unternehmen letztlich an den Kunden weitergehen.

Autofahrer
In insgesamt acht Bundesländern fotografiert die Polizei Kfz-Kennzeichen. In sieben davon – Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein geschieht dies zum Teil, ohne dass die Autofahrer es merken. Dies sei eindeutig verfassungswidrig, heißt es in einem aktuellen Rechtsgutachten des ADAC. Lediglich in Brandenburg sei das Filmen eng an spezifische Fahndungen gekoppelt und damit nicht zu beanstanden.

Gefilmt wird mit stationären Kameras oder aus Polizeiautos. Mehrere Tausend Kennzeichen können nach Angaben des Verkehrsclubs pro Stunde auf diese Weise eingescannt werden – selbst wenn ein fotografiertes Fahrzeug mit 160 Stundenkilometern an der Kamera vorbei brause.

Ähnlich wie Telekommunikationsdaten werden in Deutschland damit auch Kfz-Kennzeichen willkürlich und massenhaft gesammelt. Gegen Hessen und Schleswig-Holstein läuft deswegen eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht, die wohl noch im Frühjahr entschieden wird.

Kfz-Kennzeichen gelten aus Sicht der Gegner dieser Fahndungspraxis als personenbezogene Daten – ihre Sammlung sei ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Das Grundgesetz besage, dass jeder Bürger selbst entscheiden dürfe, ob er seine persönlichen Daten hergibt. Bei der heimlichen Kfz-Kennzeichen-Schnüffelei sei dies nicht möglich.

Steuerzahler
Verfassungsrechtliche Bedenken gibt es auch gegen die Steuer-Identifikationsnummer, mit denen zumindest Melde- und Steuerbehörden leichter auf Daten von Bürgern zugreifen können. Es ist sogar ausdrücklich geplant, dass diese Ämter die Daten abgleichen – etwa um doppelte Wohnort-Meldungen zu eliminieren.

Die Nummer sollte ursprünglich für alle Bürger Anfang des Jahres kommen und wird derzeit – wegen des Verwaltungsaufwandes und Problemen mit der IT – Schritt für Schritt vergeben. Sinn der Aktion ist nach Angaben der Regierung, Steuerhinterziehung zu verhindern. Mit dem elektronischen Verfahren, das die alte Lohnsteuerkarte ersetzt, solle zudem die Verwaltung entstaubt werden.

Tausende Sachbearbeiter kommen an Vermögensdaten
Die elf neuen Ziffern, die die bisherige Steuernummer ersetzen, behält der Bürger ein Leben lang – es gibt also keine neue Ziffernfolge mehr, wenn der Bürger umzieht. Gespeichert sind Name, Adresse, Geschlecht, Adresse des zuständigen Finanzamtes sowie Geburtstag und -ort des Bürgers.

Datenschützer kritisieren das Projekt. Erstmals werde damit erlaubt, dass die dezentral geführten Datenbestände der 82 Millionen in Deutschland gemeldeten Personen aus 5300 Meldeämtern in einer Datei zusammengeführt werden. „Das ist der Beginn eines Bevölkerungsregisters und eines gewaltigen nationalen Datenpools“, merkte beispielsweise die „Süddeutsche Zeitung“ vergangenen Spätsommer an. Der Bund der Steuerzahler warnte, das Steuergeheimnis könne ausgehöhlt werden, da nicht klar geregelt sei, welche öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen künftig Zugriff auf die Nummer hätten. Zehntausende Sachbearbeiter könnten damit persönliche Vermögensangaben der Bürger einsehen – eine Horrorvorstellung der Gegner des Projektes.

Briefeschreiber
Der Angriff auf das Briefgeheimnis deutet sich aus den USA an. So fordere Washington künftig Informationen über alle Briefe und Pakete, die in die USA versendet werden, meldete kürzlich die Wochenzeitung „Die Zeit“. Eine solche Praxis würde das Briefgeheimnis verletzen, wonach Inhalt und Kontaktdaten nur zwei Parteien etwas angehen: den Absender und den Empfänger.

Das US-Heimatschutzministerium dringe jedoch auf eine Aufweichung des Briefgeheimnisses. Damit wolle die Behörde verhindern, dass gefährliche Substanzen in die USA gesandt werden können, mit denen sich Terroranschläge verüben lassen.

Fluggäste – Strengere Regeln seit 2006
EU-Kommissar Franco Frattini fordert die Speicherung von Flugpassagierdaten nach US-Vorbild. „Bislang haben wir uns mit der Sicherheit der Amerikaner befasst, nun ist es Zeit, sich um die Sicherheit der Europäer zu kümmern“, sagte Frattini Ende vergangener Woche beim Treffen der EU-Innenminister in Slowenien. Die Erfassung aller Flugpassagiere, die in die EU ein- oder aus der Gemeinschaft ausreisen, sei ein wichtiges Instrument für den Kampf gegen den Terrorismus, argumentiert der EU-Innenkommissar.

Frattini hatte bereits im vergangene Jahr angeregt, Fluggesellschaften sollten bei Verbindungen zwischen der EU und anderen Weltregionen bis zu 19 Datensätze der Passagiere an das betroffene EU-Land übermitteln. Diese Daten sollen dort insgesamt 13 Jahre lang gespeichert werden.

Setzt sich Frattini durch, wäre dies ein großer Schritt in Richtung Fluggastdaten-Überwachung. Fluggesellschaften sind bereits seit Ende 2006 verpflichtet, selbst bei innereuropäischen Flügen auf Anfrage der Grenzschutzbehörden des Ziellands bestimmte Angaben über ihre Passagiere zu übermitteln.

Dazu zählen Name, Geburtsdatum und Pass- beziehungsweise Personalausweisnummer, aber nicht wie bei dem von Frattini geplanten System umfassende Informationen wie etwa E-Mail-Adresse oder Sitzplatzwünsche. Zudem müssen nach den bisherigen Vorschriften die Daten in der Regel nach 24 Stunden gelöscht werden und dürfen ausschließlich von den Grenzschutzbehörden verwendet werden. (Von Annette Berger /Hamburg; Quelle: Financial Times Deutschland)

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